Der Mann mit dem Bowler-Hut. Wojciech Korfanty
Wojciech Korfanty (1873 – 1939) polnischer Nationalaktivist, bekannter Redakteur und Verleger, Reichstags- und Landtagsabgeordneter, geschickter Redner, Kommissar des Obersten Volksrates in Posen, polnischer Plebiszit-Kommissar in Oberschlesien, Diktator des 3. Schlesischen Aufstandes, Abgeordneter des Sejm der Republik Polen und des Schlesischen Sejm, stellvertretender Ministerpräsident, Emigrant, Mitbegründer der Front von Morges, Ehemann und Vater, Besitzer eines deutschen Schäferhundes namens Morytz (Moryc).
Korfanty hatte einen starken Charakter. Er verfolgte hartnäckig seine Ziele. Er konnte Freunde gewinnen, die sich auf seine Seite stellten, aber er machte sich ebenso schnell Feinde. Er war ein erfahrener, moderner Politiker, der die neue Polnische Republik mitgestalten musste. Er änderte oft seine Meinung, war aber auch in der Lage, sie vehement zu verteidigen. Mit seinen Ansichten konnte er flexibel umgehen. Für die einen war er eine Persönlichkeit voller Widersprüche, für die anderen ein herausragender Politiker.
I Triptychon: Der Mann mit dem Bowler-Hut. Wojciech Korfanty
Ein junger blonder Mann von mittlerer Größe, frische, rosige Wangen – ein kleiner, heller Schnurrbart, blaue Augen blicken heiter, fast naiv, von der ganzen Gestalt geht ein sympathischer jugendlicher Charme aus, der zuversichtlich in die Zukunft blickt, noch nicht desillusioniert vom Leben und seinen bitteren Fehlschlägen …
Theater und Romane haben uns an einen ganz anderen Typus von Volkstribunen gewöhnt. Wo sind der zerzauste Bart, die mageren Wangen, die nachlässig gebundene Krawatte, die ruckartigen Bewegungen? Der Abgeordnete Korfanty macht den Eindruck eines ruhigen, gelassenen jungen Mannes – eines „guten Jungen“ im wahrsten Sinne des Wortes. Und doch ist er der Mann, der nur innerhalb von anderthalb Jahren in Oberschlesien einen gewaltigen Sturm zu entfachen vermochte, der so viele Freunde wie Feinde gewinnen konnte, der die Massen auf seine Seite zog, einen Abgeordnetensitz gewann und einer der auffallendsten Menschen in ganz Polen wurde!
„Kraj“ 1903, Nr. 31 [vom 14. August]
Man sprach von Korfanty: großer Held und furchtloser Ritter Jan Paderewski, wahrer Staatsmann und Führer Władysław Sikorski, Korfanty Triumphator, Korfanty was the main factor throughout in the Silesia decision Henri Le Rond, commanding-man Adolf Nowoczyńki „Polonia“, die schwarze Seele, der slawische Mann Gottes, unser Mann „Przegląd Wszechpolski“, die blonde Bestie „Kattowitzer Zeitung“, Moses von Kattowitz „Dziennik Śląski“.
Im Triptychon verwendete Zitate:
Was hast du dir denn angetan, Junge …, wozu soll das gut sein! Mit deinen Fähigkeiten kannst du ein bedeutender Mann unter den Polen werden, aber du wirst ein Hundeleben führen.
Dr. Ernst Müller, Schulleiter des Gymnasiums in Kattowitz
Nur ein törichter Mensch beharrt, ungeachtet des Wandels der Verhältnisse, Zeiten und Gegebenheiten, auf seinen Ansichten, die den neuen Bedingungen nicht mehr entsprechen.
Nr. 22 1927 März 29, Katowice – Rede von Wojciech Korfanty auf der 161. Sitzung des Schlesischen Sejm während der Fortsetzung der Debatte über das Finanzgesetz für das Verwaltungsjahr 1927/1928 (dritte Lesung)
II Triptychon: Józef & Karolina
Er wurde in der zur Gemeinde Siemianowice gehörenden Bauerschaft Sadzawki geboren. Er war das fünfte Kind von Józef – einem Bergmann der Grube „Fanny“ und Karolina, geborene Klecha. Hier sprach man Polnisch. Polnisch war auch die Sprache, in der die Lebensbeschreibungen der Heiligen von Priester Piotr Skarga gelesen wurden. Der Heimatort Sadzawki war eine Meile von Kattowitz entfernt. Der junge Wojtek musste jeden Tag im Morgengrauen aufstehen, um über die Felder an den Halden vorbei, bei Regen oder Frost, zum Gymnasium zu kommen, von dem er später wegen seiner polenfreundlichen Überzeugungen verwiesen wurde.
Im Triptychon verwendete Zitate:
Bei seiner Kultur [des Staates, Anm. d. Red.] kommt es in erster Linie auf die Kultur des Willens eines jeden Bürgers an, denn der Wille des Volkes ist das wichtigste staatsbildende Element.
„Polonia“ 1929, Nr. 1611 [vom 30. März]
Die Natur selbst schreibt den Menschen ihre Pflichten zu und aus den ihnen innewohnenden Bedürfnissen sind Gesetze und Vorschriften entstanden, nach denen sich die Menschen richten.
„Polonia“ 1929, Nr. 1611 [vom 30. März]
III Triptychon: Der slawische Mann Gottes.
1903
[…] eine starke und herausragende Persönlichkeit muss ein Mensch sein, der in so kurzer Zeit (…) solche Ergebnisse erzielt hat (…). Wertvoll muss ein Mensch sein, der in seinem eigenen Volk, aus dem er selbst stammt, in so kurzer Zeit eine solche Würde und Liebe errungen hat.
„Tygodnik Illustrowany“
Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein bekannter Politiker. Während des Wahlkampfs machten schlaue Händler hervorragende Geschäfte, indem sie die wachsende Popularität Korfantys ausnutzten – „Korfanty“-Zigaretten aus einer einzigartigen Mischung russischen Tabaks, „Korfanty“-Wodka oder Postkarten mit dem Bild des „schönen, jungen slawischen Mann Gottes“ wurden damals verkauft. Bei den Wahlen im Juni 1903 gelang es ihm, als erster Pole aus Oberschlesien einen Sitz im Reichstag zu erlangen. In seinen Parlamentsreden agierte Korfanty mit meisterhafter Demagogie und zeigte sich als talentierter Redner sowie ausgezeichneter Publizist. Er bediente sich einer für die damalige Zeit modernen politischen Sprache. Ein Jahr später wurde er als Abgeordneter des Wahlkreises Großpolen in den preußischen Landtag gewählt, danach bis November 1918 als Abgeordneter des Wahlkreises Oberschlesien.
1903 wurde ich als erster polnischer Abgeordneter im deutschen Reichstag aus dem Wahlkreis Kattowitz-Zabrze gewählt, der der Polnischen Fraktion beigetreten ist. Das war nicht nur eine politische Sensation ersten Ranges für Deutschland, sondern auch ein großes Ereignis für Polen, wo sehr viele nicht einmal von der Existenz der Polen in Schlesien wussten.
„Polonia“ 1931, Nr. 2318 [vom 20. März]
Korfanty nicht trauen!
Neben ihm eine ebenso junge, wohlgeformte und anmutige weibliche Gestalt, die ihren Ehemann anhimmelte und jedem seiner Worte lauschte … – in dieser Atmosphäre ist es unanständig, über Politik zu sprechen. Zumal es Sie langweilen muss. Frau Korfanty streitet das ab: – Oh nein, im Gegenteil … ich bin sehr interessiert …
„Kraj“ 1903, Nr. 31 [vom 14. August]
Zu dieser Zeit gab es verschiedene Methoden des politischen Kampfes. Eine davon war die Verweigerung der Trauung von Korfanty mit Elżbieta Szprot, inspiriert durch den deutschen Klerus. Damit sollte Korfanty gezwungen werden, die in der Broschüre „Nieder mit dem Zentrum“ veröffentlichten antideutschen Parolen öffentlich zu widerrufen. Das skandalöse Spektakel endete schließlich damit, dass die Hochzeit nicht in Beuthen, wo die Braut herkam, sondern in Krakau stattfand.
IV Triptychon: Korfantio triumphans
… wir verlangen keinen Zentimeter deutschen Bodens. In Übereinstimmung mit Punkt 13 des Programms von Präsident Wilson fordern wir die Schaffung eines einzigen Polens, das aus drei Teilen besteht, mit Zugang zum Meer, d. h. mit einer eigenen Meeresküste, bewohnt von einer zweifellos polnischen Bevölkerung. … wir haben Anspruch auf die polnischen Landkreise von Ober- und Mittelschlesien – auf keinen deutschen Landkreis! – auf Posen, das polnische Westpreußen und die polnischen Landkreise in Ostpreußen …
Aus der letzten Rede des Abgeordneten Wojciech Korfanty vor dem Reichstag am 25. Oktober 1918. Sitzung Nr. 196.
Im November 1918 verließ er Berlin und trat in das Kommissariat des Obersten Volksrates in Posen ein, das die Polen im preußischen Bezirk vertrat. Anschließend reiste er nach Warschau, um auf die Bildung der nationalen Regierung Einfluss zu nehmen, was zu einem scharfen Konflikt mit dem Staatsoberhaupt Józef Piłsudski führte. Das von der Freiheit berauschte Warschau begrüßte ihn mit einer Ovation. Korfanty erlebte den schönsten Tag seines Lebens. Im Januar 1919 wurde er in die Verfassunggebende Nationalversammlung gewählt.
Beuthen. Hotel „Lomnitz“
Während der Volksabstimmungskampagne konnte er sich punktgenau in die Stimmung im Saal hineinversetzen und hatte die Fähigkeit, seine Argumente entsprechend anzupassen, um seine Gegner zu überzeugen. Zur Erreichung seines Ziels handelte er spontan und verwendete erfundene Argumente, die keine Grundlage in der Realität hatten. Und so wurde für die Zwecke einer Kampagne die berühmte „Korfanty-Kuh“ geboren. Angeblich versprach Korfanty den Versammelten auf einer der Kundgebungen, dass nach der Wiedervereinigung Schlesiens jeder eine Kuh erhalten würde. Von da an verwendete die deutsche Volksabstimmungspropaganda den Begriff „Korfanty-Kuh“. Die zahlreichen Reime und Bilder, die dabei entstanden, verliehen der Volksabstimmung besonderes Kolorit.
Die Ankömmlinge waren begierig darauf, in die pulsierende, lodernde Maschine hereinzuschauen, auf die die Augen ganz Polens gerichtet waren, und bald wurden sie von der Strömung in den Strudel und die Wellen des durch die Volksabstimmung geprägten Lebens hineingetrieben – eines Lebens, das mit der Musik vieler Herzen erklang, der Musik des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.
Maciej Wierzbiński, Pękły okowy [Gesprengte Fesseln], Katowice 1929
Man muss stark sein, denn auch die Neutralität muss verteidigt werden.
„Polonia“ 1938, Nr. 4997 [vom 15. September]
V Triptychon: Diktator
Korfanty war „die Seele und das Gehirn“ der polnischen Aktivitäten rund um die Volksabstimmung – er veröffentlichte Proklamationen, war ein aktiver Publizist und Agitator, nahm an Versammlungen sowie Kundgebungen teil und gab die Hauptrichtungen der Volksabstimmungskampagne vor. Korfanty lehnte bewaffnete Aktionen in Oberschlesien ab, da er sie für aussichtslos hielt. Er setzte auf Verhandlungen und Überzeugungsarbeit. In Anbetracht der Möglichkeit, dass die Ergebnisse der Volksabstimmung ungünstig ausfallen könnten, gab er als letzten Ausweg den Befehl zum Aufstand in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1921 und erklärte sich zu seinem Diktator.
„Polonia“. Redakteur Korfanty
In Kattowitz herrschte in den frühen Morgen- und Abendstunden ein reges Treiben der mit „Polonia“ gekennzeichneten Lieferwagen. In der Opolska-Straße wurde es zu dieser Uhrzeit laut und der Geruch von Druckerschwärze erfüllte den Raum wie die Parfüme von Chanel auf Les Champs Elysées. So begann die Verbreitung der meistgelesenen Tageszeitung, die in die Städte und Gemeinden Oberschlesiens sowie des Polnischen Kohlebeckens sowie per Bahn nach Warschau, Krakau, Lemberg und Posen geliefert wurde.
„Polonia“ brachte schon mit der ersten Samstagsausgabe, die am 27. September 1924 erschien, frischen Wind in den schlesischen Pressemarkt. Die erste Auflage betrug 40.000 Exemplare. Wojciech Korfanty war 51 und hatte über viel Erfahrung im Verlagswesen, als er die neue Tageszeitung auf den Pressemarkt brachte, wobei er sowohl ihr Eigentümer als auch ihr Redakteur war.
Im Triptychon verwendete Zitate:
Alle großen nationalen Taten wurden durch gemeinsame Bemühungen von Menschen vollbracht, die sich manchmal in ihren Ansichten zutiefst unterschieden, die aber zu einem bestimmten Zeitpunkt durch ein großes, allen gemeinsames Ziel vereint waren.
„Polonia“ 1938, Nr. 4808 [vom 6. März]
…der Gesellschaft, dem Staat und der Kirche dienen. Die Aufgabe unserer Zeitung wird es sein, die Wahrheit zu verkünden, die Rechte und Interessen der sozial Schwachen zu verteidigen, soziale und politische Phänomene zu erklären und zu verdeutlichen, um eine harmonische Zusammenarbeit aller Bürger für das Gemeinwohl, die Stärkung unserer Staatlichkeit und die Entwicklung des christlichen Denkens im öffentlichen Leben zu erreichen.
Wojciech Korfanty, W imię Boże [In Gottes Namen], [in:] „Polonia” 1924, Nr. 1 [vom 27. September]
VI Triptychon: Kampf der Titanen
Zwei politische Persönlichkeiten an entgegengesetzten Positionen, die ein unabhängiges Polen anstreben, aber auf ganz unterschiedlichen Wegen. Es war das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Persönlichkeiten, die den östlichen und den westlichen Politikstil repräsentierten. Was 1930 in Polen geschah, war eine Negation des freien Staates. Die regierende Gruppierung verhaftete eine große Gruppe ihrer politischen Gegner unter falschen Anschuldigungen. Sie ging mit ihnen auf eine unethische, keinen Widerspruch duldende Weise um. Korfanty wurde am 26. September verhaftet und nach Brest-Litowsk gebracht.
Nach zwei Monaten wurde Korfanty in ein Gefängnis im Warschauer Stadtteil Mokotów eingeliefert. Kurz vor Weihnachten wurde er entlassen. Er musste wieder Kräfte sammeln. Seine Feinde ließen jedoch nicht nach und er übte eine noch schärfere Kritik an den Regierenden. Vor den Wahlen von 1935 erhielt er eine vertrauliche Nachricht, dass ihm eine weitere Verhaftung und Inhaftierung in Bereza Kartuska drohte.
Im April verließ er Schlesien und begab sich in die Tschechoslowakei. 4 Jahre lang war er Beobachter des politischen Lebens in Polen. Von Prag aus leitete er die Arbeit der Redaktion von „Polonia“, hielt sich über die polnische Presse auf dem Laufenden. In Prag lernte er im Café „U Śrubki“ [„Szrobuka“, „Šroubek“, Anm. d. Red.] Professor Marian Szyjkowski kennen.
Aus Angst vor Verfolgung wechselte Korfanty oft seine Wohnorte und trat unter falschen Namen auf. Prag war ein guter Ort, um zu arbeiten, zur Ruhe zu kommen und sich wieder aufzurichten. Leider traf dort auch die schlechte Nachricht vom Tod seines Sohnes Witold ein. Die polnischen Behörden gestatteten ihm nicht, an der Beerdigung teilzunehmen. Das war ein schwerer Schlag. Er wollte um jeden Preis in sein Land zurückkehren. Mit französischem Pass und unter dem falschen Namen Martin Albert kehrte er nach Katowice zurück. Ende April meldete er sich bei der Staatsanwaltschaft. Er wurde verhaftet und nach Warschau gebracht. Im Gefängnis verschlimmerte sich seine Krankheit. Er starb am 17. August 1939, kurz vor Kriegsausbruch.
Im Triptychon verwendete Zitate:
Wojciech Korfanty stieg aus dem Auto aus, nahm seinen Koffer und ging zur Kanzlei, von allen Seiten umringt von Gendarmen. In der Kanzlei wartete Oberst Kostek-Biemacki, der zur Abwicklung der Formalitäten mit dem Verhafteten überging. Er ließ Wojciech Korfanty die ganze Zeit stehen.
Einzelheiten zur Inhaftierung von Korfanty in Brest. Wer ermittelt gegen ihn? „Polonia“ 1930, 2151 [vom 1. September]
… auf dem zentralen St.-Wenzel-Boulevard; dass sich dort der engste Freundeskreis, organisiert in einer Art Babinische Republik, um mich herum versammelt; und dass wir von diesem „Fenster“ aus, so humorvoll wie möglich, über wichtige und bedeutsame Angelegenheiten diskutieren, die von der Welle des Lebens über das turbulente Flussbett der tschechisch-polnischen „Gegenseitigkeit“ (und „Nicht-Gegenseitigkeit“) hervorgebracht wurden.
Marian Szyjkowski, Wojciech Korfanty w Pradze [Wojciech Korfanty in Prag] (zum sechsten Todestag), [in:] „Odra“ 1945, Nr. 3 [vom 20. August]